01.03.2017Was benötigen psychisch kranke Flüchtlinge?
BPtK-Round-Table mit Experten aus der Praxis

(BPtK) Seit Ende 2014 haben mehr als eine Million Menschen Schutz in Deutschland gesucht. Ein Großteil dieser Flüchtlinge hat Traumatisches erlebt. Viele von ihnen leiden unter psychischen Beschwerden oder sind psychisch krank und brauchen Hilfe. Ihre gesundheitliche Versorgung ist jedoch viel zu lückenhaft. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) hat deshalb Initiativen zu einem Round-Table-Gespräch am 16. Februar 2017 nach Berlin eingeladen, die in den letzten zwei Jahren Lösungen entwickelt haben, wie den Flüchtlingen geholfen werden kann. Ziel war es, sich gemeinsam darüber auszutauschen, was praktisch und politisch getan werden sollte, um psychisch kranke Flüchtlinge angemessen zu versorgen.

Flüchtlinge haben Anspruch auf eine angemessene Versorgung

Kaum ein Thema haben die Menschen in Deutschland in den letzten zwei Jahren so kontrovers diskutiert wie die Frage, ob und wie Menschen geholfen werden soll, die in Deutschland Schutz vor Krieg, Gewalt und Folter suchen. Diese Frage ist jedoch ethisch nicht mehr zu verantworten, wenn daraus die Frage wird, ob kranke Flüchtlinge psychotherapeutische oder ärztliche Hilfe erhalten. Kranke Menschen haben ein grundlegendes Recht auf eine angemessene medizinische Hilfe, die nicht davon abhängen kann, woher ein Mensch kommt. "Ärzte und Psychotherapeuten sind verpflichtet, jedem kranken Menschen zu helfen, wenn er körperlich oder seelisch leidet", stellte BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz klar. "Davon schließen wir Flüchtlinge nicht aus."

Dr. Dietrich Munz
Dr. Dietrich Munz

Die gesetzlichen Grundlagen, insbesondere das Asylbewerberleistungsgesetz stellten jedoch keine angemessene und ausreichende psychotherapeutische und ärztliche Hilfe insbesondere für psychisch kranke Flüchtlinge sicher, urteilte Munz. Psychische Erkrankungen, wie Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen, gelten in der Regel nicht als akut behandlungsbedürftig. Außerdem gebe es keine gesicherte Finanzierung von Dolmetscherleistungen, die für eine Psychotherapie mit Flüchtlingen meist unverzichtbar seien. Der BPtK-Präsident bilanzierte: "Nach der Zeit, in der schnelle Lösungen für viele Menschen notwendig waren, folgt nun eine Phase der Konsolidierung und Nachbesserung. Wir müssen überlegen, wie das Begonnene angemessener gestaltet und auf eine bessere rechtliche Basis gestellt werden kann." In dem Round-Table-Gespräch gehe es darum, die Erfahrungen von ganz unterschiedlichen Projekten auszutauschen. Vorgestellt würden niedrigschwellige und online-basierte Hilfsangebote, Projekte, die Laienhelfer qualifizieren oder eine psychotherapeutische Versorgung anbieten sowie Initiativen zur Koordination und Vernetzung. Schließlich gehe es auch um die unverzichtbare Einbindung von Sprachmittlern.

Psychosoziale Ersthilfe für Flüchtlinge

Entlastung und Stabilisierung als erster wichtiger Schritt

Dr. Alexandra Liedl berichtete über psychoedukative Gruppen in Erstaufnahmeeinrichtungen, die durch "Refugio München" angeboten werden. "Unser Ziel ist die psychische Entlastung und Stabilisierung", erklärte Liedl, Psychotherapeutin am Beratungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer in München. Die Flüchtlinge würden in den Gruppen darüber informiert, wie sie mit psychischen Beschwerden auch unter den schwierigen Bedingungen in einer Erstaufnahmeeinrichtung umgehen könnten. Dolmetscher machten es möglich, dass daran Flüchtlinge in verschiedenen Sprachen teilnehmen könnten. Ziel der Gespräche sei es auch, psychisch kranke Flüchtlinge zu identifizieren, die dann eine psychotherapeutische Behandlung bei Refugio München erhielten. Eine der größten Herausforderungen sei die hohe Fluktuation der Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Außerdem sei es dringend notwendig, sich mit den Sozialdiensten und Ärzten vor Ort zu vernetzen.

Multiprofessioneller Ansatz notwendig

Ein Akutprogramm für psychisch kranke Flüchtlinge, die erst kürzlich in Deutschland angekommen sind, stellte Dr. Maria Böttche vom Berliner "Zentrum Überleben" vor. Die Flüchtlinge erhielten über ein halbes Jahr lang wöchentliche Gespräche. Hierbei setze das Behandlerteam auf einen multiprofessionellen Ansatz aus Psychotherapie, Psychiatrie und Sozialarbeit. Als besondere Herausforderung beschrieb Böttche die deutlich aufwendigere diagnostische Phase, für die häufig bis zu zehn Stunden notwendig seien. Außerdem machte sie deutlich, dass "eine Fokussierung auf Psychotherapie allein zu Beginn des Aufenthaltes nicht ausreicht". Schwerpunkte seien vielmehr notfallpsychologische Interventionen, Sozialarbeit und psychiatrische Behandlungen. Eine spezifische traumafokussierte Psychotherapie sei erst machbar, wenn die Patienten äußerlich und innerlich eine gewisse Stabilität erlangt hätten.

Dr. Maria Böttche
Dr. Maria Böttche
Dr. Alexandra Liedl
Dr. Alexandra Liedl

Integration in Arbeit und Sozialwelt

Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier von der Universität Marburg stellte das Interpersonelle integrative Modellprojekt für Flüchtlinge mit psychischen Störungen vor, das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert wurde. Neben der psychotherapeutischen Behandlung habe der Fokus insbesondere auch auf der Integration in die Arbeit und Sozialwelt gelegen. Dazu sei die Interpersonelle Psychotherapie, die ursprünglich für die Therapie von Depressionen entwickelt worden sei, an die Behandlung von Flüchtlingen angepasst worden. Im Fokus von zehn Therapiesitzungen ständen die Themen Rollenwechsel, Trauer, Einsamkeit, zwischenmenschliche Konflikte und Integration. Darüber hinaus hätten auch Gespräche mit Sozialarbeitern und Psychiatern stattgefunden. Auch Brakemeier betonte, dass "der Kombination aus Psychotherapie und Sozialarbeit eine immense Bedeutung zukommt".

Interaktive Bildergeschichte für Flüchtlingskinder

Dr. Sabine Ahrens-Eipper, Mitglied im Ausschuss für besondere Belange der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer, stellte das Konzept einer interaktiven Bildergeschichte für Flüchtlingskinder vor. Mit kurzen Videos, Bildergeschichten und Arbeitsbögen könnten bereits sehr junge Flüchtlingskinder kindgerecht und kultursensibel über verschiedene Arten von traumatischen Erlebnissen und deren mögliche Auswirkungen informiert werden. Kinder könnten dadurch besser verstehen, was sie oder andere erlebt haben. Das wirke entlastend. "Gleichzeitig könnten mit dem Video-Bilderbuch Risikokinder frühzeitig identifiziert werden", erklärte Ahrens-Eipper. Kinder hätten ein besonders hohes Risiko, aufgrund von traumatischen Erlebnissen psychisch zu erkranken. Das Material solle Sozialarbeitern, Erziehern und Lehrern kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Bisher sei jedoch noch keine Finanzierung gefunden worden.

Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier
Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier
Dr. Sabine Ahrens-Eipper
Dr. Sabine Ahrens-Eipper
Dr. Heike Winter
Dr. Heike Winter

Erststabilisierung für Flüchtlingskinder und -jugendliche

Andrea Dixius stellte das Programm "START" vor. Für viele Flüchtlingskinder und -jugendliche sei zu Beginn ihres Aufenthaltes eine lange Psychotherapie nicht denkbar. Deshalb gehe es bei "START" in erster Linie um rasche Stabilisierung und Stressreduktion. "Wir möchten den Kindern und Jugendlichen in ihrer emotionalen Not helfen, um akute Krisen zu überstehen und wieder Kontrolle über ihr eigenes Verhalten zu bekommen." Danach fokussiere das Programm auf die Förderung von Selbstfürsorge, Achtsamkeit und Stärkung von Schutzfaktoren. Um einen niedrigschwelligen und kulturintegrativen Zugang zu ermöglichen, sei das Manual mehrsprachig übersetzt worden. Zusätzlich gebe es auch mehrsprachige Audioversionen. Dadurch könne der größte Teil des Programms ohne Dolmetscher und in Gruppen mit Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher Sprachen durchgeführt werden. Das Konzept sei so entwickelt, dass es auch Lehrern, Erziehern und Sozialarbeitern angeboten werden könne.

Traumatisierten Flüchtlingen Orientierung geben

Rabea Pallien stellte das Projekt zur Orientierung und Psychoedukation für traumatisierte Flüchtlinge "HOPE" des Psychosozialen Zentrums des Deutschen Roten Kreuzes in Saarbrücken vor. Es biete psychologische Unterstützung bei der Bewältigung von traumatischen Erlebnissen und der Integration und Eingewöhnung in die Kultur Deutschlands. Das Angebot richte sich insbesondere an unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Ein Schwerpunkt des Psychosozialen Zentrums liege außerdem in der Vermittlung an Psychotherapeuten, Ärzte und Fachkliniken. Hierfür gebe es eine Koordinierungsstelle in Zusammenarbeit mit der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes. "Die Weitervermittlung in die Regelversorgung ist schwierig", stellte Rabea Pallien fest. "Für viele Psychotherapeuten ist es ungewohnt, mit Dolmetschern zu arbeiten."

Andrea Dixius
Andrea Dixius
Rabea Pallien
Rabea Pallien
Sibel Atasayi
Sibel Atasayi

Online-basierte Angebote

Nicht alle Flüchtlinge, die einer psychosozialen oder psychotherapeutischen Behandlung bedürfen, erhalten schnell Face-to-Face-Hilfe in Deutschland. Auch diejenigen Menschen, die in den Krisen- und Kriegsgebieten oder in Flüchtlingslagern leben müssen, haben häufig keine Möglichkeit, psychosoziale oder psychotherapeutische Hilfe zu finden. Web-Angebote können dann eine Alternative sein.

Hilfe für Menschen in Kriegsgebieten

Dr. Maria Böttche stellte die Web-Therapien für Trauma und Depression auf Arabisch vor, die am "Zentrum Überleben" in Berlin entwickelt wurden. Nach einer ausführlichen telefonischen Diagnostik würden die Behandlungsbedürftigen in das Kurzzeittherapieprogramm aufgenommen. Da sich viele von ihnen jedoch noch in Gefahrensituationen befänden, käme es häufig zu Therapieabbrüchen. "Auch technische Probleme wie häufige Internetausfälle stellen eine große Hürde dar", erläuterte Böttche. Darüber hinaus sei am "Zentrum Überleben" auch eine Selbsthilfe-App für leichte depressive Beschwerden auf Arabisch entwickelt worden.

Selbsthilfe-Webseite in sieben Sprachen

Dr. Mike Mösko und Yiqi Pan vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf stellten die Website "Refugeeum" vor. Sie sei seit September 2016 online. Sie böte Informationen über psychische Beschwerden und Anleitung zur Selbsthilfe, z. B. bei Traurigkeit, Angst, Schlafproblemen und belastenden Erinnerungen. Sie informiere über Strategien, wie sich persönliche Kraftquellen aktivieren lassen, wobei das Schreiben von Tagebüchern helfen und wie ein ruhigerer Schlaf erlangt werden könne. Das Internetangebot sei aktuell in sieben Sprachen verfügbar. "Bis heute haben bereits über 3.000 Menschen aus 34 Ländern die Webseite besucht", berichtete Pan. Sie sei ohne finanzielle Mittel erstellt worden. "Dies war nur dank des außergewöhnlichen Engagements von Psychologiestudierenden und der ehrenamtlichen Unterstützung zahlreicher Akteure möglich", erläuterte Mösko.

Ursula Meier-Kolcu
Ursula Meier-Kolcu
Dr. Mike Mösko
Dr. Mike Mösko
Yiqi Pan
Yiqi Pan

Qualifikation und Einsatz von Laienhelfern

Die Behandlung psychischer Erkrankungen sollte nur durch Psychotherapeuten oder entsprechend qualifizierte Fachärzte erfolgen. Das gilt auch für die Therapie von psychisch kranken Flüchtlingen. Geschulte Laienhelfer können jedoch helfen, Flüchtlinge mit psychischen Beschwerden zu unterstützen, zu stabilisieren und an Psychotherapeuten und Ärzte zu vermitteln, wenn eine Behandlung notwendig erscheint.

Laienhilfe zur psychischen Stabilisierung

Veronika Wolf vom Psychosozialen Zentrum in Düsseldorf berichtete vom Modellprojekt "In2Balance - Laienhilfe für Geflüchtete zur psychischen Stabilisierung", ein Präventionsprojekt, das durch das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium finanziert und unter anderem auch von der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen begleitet werde. Aktuell seien in dem Projekt 18 Laienhelfer in acht Düsseldorfer Flüchtlingsunterkünften tätig. Die Laienhelfer hätten eine Schulung erhalten und bekämen kontinuierlich fachliche Unterstützung. "In2Balance soll helfen, psychische Belastungen bei Flüchtlingen zu verringern und Folgeerkrankungen zu verhindern", erklärte Wolf. Flüchtlinge, bei denen die Laienhelfer einen Behandlungsbedarf annehmen, würden zur Diagnostik an Psychotherapeuten und Ärzte vermittelt. Die Vermittlung in die psychotherapeutische Regelversorgung sei aber vor allem in ländlichen Regionen häufig schwierig.

Laienhelfer unterstützen Traumatherapie

"Psychotherapeuten und Ärzte haben nicht die Kapazitäten, alle Flüchtlingskinder, die Hilfe benötigen, zu versorgen. Deshalb haben wir ein Modell der angeleiteten Laienhilfe entwickelt", erläuterte Beate Leinberger von GewiSS e.V. Die Traumahelferausbildung beinhalte psychotraumatologische und neurophysiologische Grundlagen, Stabilisierungs- und Selbstberuhigungstechniken und Therapiekonzepte für traumatisierte Flüchtlinge. Gedacht sei es unter anderem für Lehrer, Erzieher und Sozialpädagogen, die in der Flüchtlingsarbeit aktiv seien und es in ihrer täglichen Arbeit einsetzen können. Darüber hinaus würden Laien ausgebildet, die professionell geleitete Gruppentherapien für Flüchtlingskinder und -jugendliche unterstützen. Dabei sei jedoch schwierig, dass diese Gruppentherapien in der Regel nicht in Schulen oder Wohnheimen angeboten werden könnten, sondern in den Praxisräumen der Psychotherapeuten stattfinden müssten. Deshalb sind die Fahrtwege für die Flüchtlingskinder oft viel zu lang. Auch die bürokratischen Hürden bei der Finanzierung der Therapien seien ein großes Hindernis.

Beate Leinberger
Beate Leinberger
Veronika Wolf
Veronika Wolf
Birgitt Lackus-Reitter
Birgitt Lackus-Reitter

Psychotherapeutische Versorgung

Nicht für alle traumatisierten und psychisch kranken Flüchtlinge reicht eine psychosoziale Versorgung aus. Einige brauchen eine längerfristige Psychotherapie. Die langen Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz zeigen jedoch, dass die bestehenden Kapazitäten nicht ausreichen, um zusätzlich psychisch kranke Flüchtlinge kurzfristig behandeln zu können. Deshalb schuf der Gesetzgeber im September 2014 die Möglichkeit, speziell für Flüchtlinge auch psychotherapeutische Privatpraxen und psychosoziale Zentren zu ermächtigen und damit für die ambulante Versorgung zuzulassen.

Ermächtigungen unbrauchbar

Die Regelung, nach der psychisch kranke Flüchtlinge auch durch speziell ermächtigte Praxen behandelt werden können, sei praktisch unbrauchbar. Die ermächtigten Psychotherapeuten säßen teilweise in leeren Praxen. Der Kreis der Flüchtlinge, der mit der Ermächtigung versorgt werden könne, sei so stark eingeschränkt, dass es vielerorts gar keine Patienten gäbe, die darunterfielen. Diese Erfahrungen berichteten Juliana Schäfers, ermächtigte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin für die Region Soest (Nordrhein-Westfalen), sowie Elise Bittenbinder, Vorsitzende der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF). Die Regelung sei so kompliziert, dass es manchmal kaum möglich sei, herauszufinden, ob ein Flüchtling zu dem Personenkreis gehöre, der von Ermächtigten behandelt werden könne. Außerdem müssten bereits begonnene Therapien abgebrochen werden, wenn sich der rechtliche Status des Patienten ändere.

Finanzierung durch Land und Kommune in Niedersachsen

PD Dr. Christoph Kröger berichtete von der Kooperation der Psychotherapieambulanz der Technischen Universität Braunschweig mit der Landesaufnahmestelle Standort Braunschweig und der Stadt Braunschweig. Der Sozialdienst und die Ärzte in der Landesaufnahmestelle empfählen Flüchtlingen, sich in der Psychotherapieambulanz beraten zu lassen. Die Flüchtlinge erhielten daraufhin eine ausführliche Diagnostik, die von der Landesaufnahmestelle und der Stadt Braunschweig finanziert werde. Liege eine Indikation vor, würden im Anschluss auch probatorische Sitzungen und 18 Psychotherapiestunden übernommen. Sowohl für diagnostische als auch therapeutische Gespräche ständen Dolmetscher zur Verfügung. Voraussetzung für die Behandlung von Flüchtlingen sei die enge Kooperation mit dem zuständigen Gesundheitsamt und die Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen. "Wir konnten mit diesen Regelungen für Braunschweig eine gute Lösung finden. Aber der Planungs- und Koordinationsaufwand ist enorm", konstatierte Kröger.

Juliana Schäfers
Juliana Schäfers
PD Dr. Christoph Kröger
PD Dr. Christoph Kröger
Elise Bittenbinder
Elise Bittenbinder

Koordination und Vernetzung

Die gesetzlichen Regelungen zur Versorgung psychisch kranker Flüchtlinge sind kompliziert und schwer verständlich. Nicht immer ist direkt ersichtlich, wer welche Leistung erbringen darf und wer die Kosten trägt. Die Beantragung von Therapien ist aufwendig. Die Vermittlung von Flüchtlingen in die psychotherapeutische Regelversorgung ist dadurch erschwert. Dabei können jedoch Koordinierungsstellen helfen.

Fortbildung und Beratung von Psychotherapeuten und Ärzten

Christina Krause berichtete über die Arbeit der Koordinierungsstelle für die Verbesserung der Behandlung von psychisch kranken Flüchtlingen in Rheinland-Pfalz, die vom Integrations- und vom Gesundheitsministerium Rheinland-Pfalz gefördert werde. Die Stelle biete gemeinsam mit der Psychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz für Psychotherapeuten Fortbildungen zur Versorgung psychisch kranker Flüchtlinge an. Die Fortbildungen fänden dezentral statt, um möglichst viele Psychotherapeuten zu erreichen. Die Koordinierungsstelle habe außerdem ein Netzwerk von Psychotherapeuten und einen Pool von Sprachmittlern aufgebaut. "Bei Anfragen vermitteln wir Flüchtlinge an geschulte Psychotherapeuten weiter und stehen bei Fragen zur Beantragung oder Abrechnung von Leistungen zur Verfügung", erklärte Krause. Eine wesentliche Schwierigkeit bei der Vermittlung von Flüchtlingen in die psychotherapeutische Regelversorgung bestehe darin, dass die Ermächtigungsregelung in der Praxis nicht greife.

Umfassendes Servicepaket

Frauke Baller vom Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge Niedersachsen (NTFN) stellte klar, dass Integration auch Integration in die Gesundheitsversorgung bedeute. Deshalb sei das Ziel des Netzwerks, das unter anderem von der Psychotherapeutenkammer Niedersachsen unterstützt werde, Flüchtlinge in die psychotherapeutische Regelversorgung zu vermitteln. "Hierfür bietet das Netzwerk ein umfassendes Servicepaket an", erläuterte Baller. Bei Anfragen nach Psychotherapie suche ein hauptamtlicher Mitarbeiter des Netzwerks nach einem geeigneten Psychotherapeuten sowie nach einem passenden Dolmetscher. Das Netzwerk beantrage die Kostenübernahme für die Psychotherapie und die Dolmetscher. Bei Bedarf unterstütze es die Therapeuten auch bei sozial- und ausländerrechtlichen Fragen und dem Verfassen von Stellungnahmen. Außerdem biete es regelmäßig Fortbildungen an. "Schwierig ist es, geeignete Psychotherapeuten und Dolmetscher in ländlichen Gebieten zu finden", erklärte Baller. Außerdem sei das Bewilligungsverfahren für Psychotherapeuten ohne Kassenzulassung lang und bürokratisch.

Datenbank engagierter Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten

Wie sich Flüchtlinge mittels einer Datenbank besser in die Regelversorgung vermitteln lassen, schilderte Judith Schild vom Arbeitskreis Asyl in Münster. Die Datenbank erfasse Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die Behandlungen von Flüchtlingen anböten. Darüber hinaus gebe es regelmäßige Treffen des Arbeitskreises, um sich über Fachthemen und administrative Fragen zur Behandlung psychisch kranker Flüchtlinge auszutauschen. "Die größten Schwierigkeiten sind die aufwendigen und langwierigen Antragsverfahren bei den Ämtern sowie die fehlende Finanzierung von Sprachmittlern", beklagte Schild. "Die Behandlung von Flüchtlingen bedeutet für niedergelassene Psychotherapeuten einen immens hohen Aufwand, weshalb sie nur wenige Flüchtlinge behandeln können." Der Arbeitskreis Asyl ist eine Kooperation des PsychotherapeutInnen-Netzwerks Münster und Münsterland und Refugio Münster.

Frauke Baller
Frauke Baller
v.l.n.r.: Judith Schild, Veronika Wolf
v.l.n.r.: Judith Schild, Veronika Wolf

Ohne Dolmetscher und Sprachmittler keine Psychotherapie möglich Ohne eine ausreichende sprachliche Verständigung ist Psychotherapie nicht möglich. Deshalb ist es bei Psychotherapien mit Flüchtlingen meist unverzichtbar, speziell qualifizierte Dolmetscher und Sprach- und Integrationsmittler einzusetzen. Deren Leistungen werden jedoch von Sozialämtern selten finanziert. Die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt die Bezahlung grundsätzlich nicht.

Dolmetscherfonds

Cornelia Reher vom Verein für Seelische Gesundheit, Migration und Flucht (SEGEMI) berichtete davon, dass in Hamburg ein Dolmetscherfonds von 200.000 Euro für die psychotherapeutische Versorgung von Flüchtlingen eingerichtet werden konnte. Der Fonds sei vom Hamburger Landesparlament bewilligt worden und ginge auf eine gemeinsame Initiative des Vereins, der Psychotherapeutenkammer Hamburg, des Paritätischen Wohlfahrtsverbands sowie lokaler Politiker zurück. "Dadurch können niedergelassene Psychotherapeuten zukünftig Gelder für Sprachmittler beantragen", erklärte Reher. Die Dolmetscher würden zuvor geschult und im Verlauf der Therapie supervidiert.

Qualifizierung von Sprachmittlern und Dolmetschern

Dr. Mike Mösko berichtete vom Projekt "ZwischenSprachen - Qualitätsstandards zur Qualifizierung von Sprachmittlern in der sozialen Arbeit mit Flüchtlingen". "Bisherige Qualifizierungsangebote sind sehr heterogen und die Kompetenzen von Sprachmittlern und Dolmetschern kaum mehr einzuschätzen", erläuterte Mösko. Ziel des Projektes sei es daher, Lerninhalte- und -ziele für Fortbildungen für Sprachmittler im sozialen Bereich zu entwickeln. Diese könnten dann als Blaupause für verbindliche Fortbildungen von Sprachmittlern im psychotherapeutischen Bereich herangezogen werden. An dem Projekt sind das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, die Internationale Gesellschaft für Bildung, Kultur, Partizipation sowie die Diakonie Hamburg beteiligt.

Monika Eingrieber vom Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) berichtete von einem dreitägigen Qualifizierungsangebot für Dolmetscher für die Arbeit im psychotherapeutischen Bereich, das gemeinsam mit dem Verein SEGEMI entwickelt worden sei. "Das Problem ist, dass Dolmetscher im Gesundheitswesen schlechter als in anderen Bereichen vergütet werden", berichtete Eingrieber. Deshalb sei die Motivation ihrer Mitglieder sehr gering gewesen, in eine solche Fortbildung zu investieren. Hier müsse sich grundsätzlich etwas ändern.

Varinia Morales beschrieb den Sprachmittlerpool NRW, der seit 2010 speziell qualifizierte Sprach- und Integrationsmittler für mehr als 90 Sprachen und Dialekte vermittelt. Die Fortbildung zum Sprach- und Integrationsmittler enthalte Unterrichtseinheiten im Bereich Bildung, Soziales und Gesundheit und habe einen hohen Anteil an psychologischen, psychotherapeutischen und psychiatrischen Inhalten. Sprach- und Integrationsmittler seien in der Lage, soziokulturelle Unterschiede zu erläutern und würden zum Beispiel an die Kliniken des Landschaftsverbands Rheinland vermittelt, mit denen eine enge Kooperation bestehe. Träger des Sprachmittlerpools NRW ist die Internationale Gesellschaft für Bildung, Kultur, Partizipation in Köln (bikup).

Varinia Morales
Varinia Morales
Cornelia Reher
Cornelia Reher
Monika Eingrieber
Monika Eingrieber

Diskussion

Dauerhafte Finanzierung erforderlich

Bei den meisten Projekten, die bei dem Round-Table-Gespräch in Berlin vorgestellt wurden, ist die dauerhafte Finanzierung nicht gesichert. Die Projektmittel sind befristet und müssen immer wieder neu beantragt werden. In der Diskussion wurde deshalb kritisiert, dass die Politik zu wenig Verantwortung für die Versorgung psychisch kranker Flüchtlinge übernehme. "Gesundheitsversorgung ist eine staatliche Aufgabe. Das gilt auch für die Versorgung psychisch kranker Flüchtlinge", kritisierte Elise Bittenbinder.

Multiprofessionelle Versorgung notwendig

Die Erfahrungsberichte machten deutlich, dass psychisch kranke Flüchtlinge besonders zu Beginn ihres Aufenthaltes in Deutschland eine multiprofessionelle Unterstützung benötigen. Eine ausschließliche Fokussierung auf Psychotherapie reiche nach Ansicht der Anwesenden nicht aus. Die Zusammenarbeit von Psychotherapeuten, Sozialarbeitern und Psychiatern sei notwendig, um Flüchtlinge gesundheitlich angemessen zu versorgen. Im Asylbewerberleistungsgesetz fehle jedoch die rechtliche Grundlage, die ein multiprofessionelles psychosoziales Hilfspaket grundsätzlich für jeden Flüchtling sicherstelle. "Eine psychosoziale Erstversorgung sollte jedem psychisch kranken Flüchtling, der Hilfe sucht, durch das Sozialamt bezahlt werden", forderte BPtK-Präsident Munz.

Susanne Münnich-Hessel
Susanne Münnich-Hessel
Wiebke Rappen
Wiebke Rappen
Silvia Schriefers
Silvia Schriefers

Ermächtigungen gescheitert

Die Berichte aus der Praxis ermächtigter Psychotherapeuten und der psychosozialen Zentren machten klar, dass die gesetzliche Regelung, nach der Psychotherapeuten und psychosoziale Zentren speziell zur Versorgung von psychisch kranken Flüchtlingen zugelassen werden können, gescheitert ist. Der Kreis der Flüchtlinge, die mit einer Ermächtigung behandelt werden können, sei derart stark eingeschränkt worden, dass vielerorts überhaupt kein Flüchtling mehr unter diese Regelung falle. "Die Regelung, psychisch kranke Flüchtlinge durch speziell zugelassene Praxen zu versorgen, ist misslungen und muss dringend verbessert werden", stellte BPtK-Präsident Munz fest.

Sprachmittler finanzieren

Deutlich wurde auch, dass eine der größten Hürden die fehlende Finanzierung von Sprachmittlung ist. Die Behandlung von teilweise schwer kranken Menschen dürfe jedoch nicht daran scheitern, dass Ärzte und Psychotherapeuten ihre Patienten nicht verstehen. "Wenn kranke Flüchtlinge zu versorgen sind, muss die Sprachmittlung, die auch spezielle kulturelle Kenntnisse über die Herkunftsländer der Flüchtlinge erfordert, finanziert werden", forderte Munz. Dafür setzt sich auch die Initiative "Sprachmittlung im Gesundheitswesen" ein, die gemeinsam von BDÜ und bikup initiiert wurde und an der auch die BPtK beteiligt ist.

Dr. Nikolaus Melcop
Dr. Nikolaus Melcop
Dr. Andrea Benecke
Dr. Andrea Benecke

Regelversorgung fast unmöglich Die Vermittlung psychisch kranker Flüchtlinge in die psychotherapeutische Regelversorgung ist massiv erschwert. Unklarheiten bezüglich der Leistungsträger, hoher bürokratischer Aufwand und lange Wartezeiten bei der Bearbeitung der Anträge sowie die fehlende Finanzierung der Dolmetscherkosten machen eine psychotherapeutische Versorgung von Flüchtlingen fast unmöglich.

Fortbildungen in interkultureller Psychotherapie notwendig

Die Experten waren sich darin einig, dass soziokulturelle Kenntnisse der Behandelnden eine wichtige Voraussetzung seien, um Menschen aus anderen Kulturen angemessen behandeln zu können. Daher sind Fortbildungen in interkultureller Psychotherapie und in der Arbeit mit Dolmetschern essenziell. Es wurde vorgeschlagen, solche Schulungen gemeinsam mit Psychotherapeuten und Dolmetschern durchzuführen.

Jeder kranke Mensch hat ein Recht auf medizinische Hilfe

BPtK-Präsident Munz betonte zum Abschluss: "Wir müssen politisch und öffentlich weiter eine angemessene Versorgung von psychisch kranken Flüchtlingen einfordern. Bisher bestehen gravierende Defizite, die gegen die ethische Grundhaltung von Psychotherapeuten und Ärzten verstoßen." Dr. Ulrich Clever, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesärztekammer ergänzte: "Jeder Mensch, der krank ist, hat ein Recht auf psychotherapeutische oder ärztliche Hilfe - unabhängig davon, woher er kommt. Menschenrechte gelten nicht nur für Inhaber des deutschen Passes."

Dr. Ulrich Clever, Elke Böthin
Dr. Ulrich Clever, Elke Böthin

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